Symbolbild: Israel und Gaza: Der Krieg der Bilder auf Social Media
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Israel und Gaza: Der Krieg der Bilder auf Social Media

Der Krieg zwischen Israel und der Terrormiliz Hamas hat längst Einzug in soziale Medien gefunden, Beiträge dazu werden millionenfach geteilt. Dabei sehen Experten eine inhaltliche Schlagseite – verstärkt durch den Spiegel-Mechanismus von Algorithmen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Nora Achmaoui ist Lifestyle-Influencerin auf Instagram. Seit dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel und der folgenden israelischen Militäroffensive gegen die radikalislamische Miliz erhebt sie die Stimme für die Palästinenser und vermittelt ihren Followern, allein Israel sei schuld an der aktuellen Lage. Im Netz finden sich in diesen Tagen zahlreiche Menschen, die ihre Meinungen zum Krieg in Israel und Gaza verbreiten – und dabei Fakten oft verschweigen.

Geschichten über Palästinenser besonders stark geklickt

In einem auf Instagram veröffentlichten Video spricht die in Dubai lebende Achmaoui ihre Follower direkt an. "Hallo Deutschland. Kurze Politikstunde, weil deine Berichterstattung so einseitig ist. Israel besetzt Palästina seit 1948 und wenn ihr ernsthaft denkt, dass das friedlich passiert ist, Pustekuchen. Weißt Du, wie man das nennt? Apartheid", so die junge Frau. Mehr als eine halbe Million Follower hat sie. Mehr als 100.000-mal kriegt das Video ein Like. Dass es nie einen Staat Palästina gab oder Juden schon immer in der Region gelebt haben, verschweigt die Influencerin.

Der Krieg im Nahen Osten setzt sich ungebremst in sozialen Medien fort. Vor allem auf TikTok und Instagram gibt es unzählige Posts, Videos, Infotafeln. Geschichten über das Leid der Palästinenser, über radikale jüdische Siedler oder die rechtsreligiöse israelische Regierung bekommen besonders viel Zustimmung.

Experte: Algorithmus spiegelt Zusammensetzung der Gesellschaft

Im Gegensatz dazu haben es Posts schwer, die den Terror der radikalislamischen Hamas, das Leid der Angehörigen israelischer Geiseln oder von am 7. Oktober Ermordeten darstellen. Diese gehen deutlich weniger viral, wie es in der Netzwelt heißt, werden also weniger mit einem Like versehen und dementsprechend weniger oft gesehen. Denn die Plattformen schieben in die Timelines der Nutzer vor allem Inhalte, die von vielen positiv bewertet und lange angesehen werden.

Benjamin Gust, Professor der Technischen Hochschule Mittelhessen, sagt, der Algorithmus kenne kein journalistisches Gatekeeping und achte auch nicht auf Ausgewogenheit. Vielmehr interessiere sich die Rechenformel für nackte Zahlen. Die ethnisch-religiöse Zusammensetzung der Gesellschaft hat beim Krieg zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas direkten Einfluss auf die Menge an Posts, die Nutzern in die Timeline gespült werden. Gust erklärt, man sehe bei 5,5 Millionen Muslimen in Deutschland und 95.000 Juden, dass es ein entsprechendes Ungleichgewicht gebe. Es sei logisch, dass zu der einen Thematik mehr gemacht werde als zu der anderen.

Beiträge mit Hashtag "Freepalestine" millionenfach angesehen

Wer sich Kommentare unter pro-palästinensischen Posts durchliest, merkt an den Namen der Kommentatoren, dass es sich oft um Deutschsprachige mit Migrationshintergrund handelt. In vielen Fällen sind es offensichtlich User mit türkischen Wurzeln. Diese solidarisieren sich traditionell eher mit dem Leid der Palästinenser.

Gust hat Hashtags auf den Plattformen TikTok und Instagram verglichen. Bei Instagram gebe es zum Hashtag "freepalestine" 5,6 Millionen Beiträge, beim Hashtag "freeisrael" jedoch lediglich 22.300 Beiträge, so Gust. 132.000 Beiträge gebe es beim Hashtag "Israelunderattack".

Genauso gravierend ist demnach der Unterschied bei TikTok. Beiträge und Videos mit dem Hashtag "Freepalestine" wurden 23,1 Milliarden mal gesehen. Wenn man Hashtags mit Rechtschreibfehlern wie "Freepalestin" oder mit Flaggen dazurechne, käme man auf "etwa 29 Milliarden Aufrufe" mit "Pro-Palestine-Content". "Pro-Israel-Content" habe "bei gleicher Rechenart inklusive Varianten etwa 211 Millionen Aufrufe", so Gust.

Jugendliche nutzen Social Media zur politischen Willensbildung

Was macht nun der in die Plattformen eingebaute Algorithmus mit dieser Erkenntnis? Die Rechenformel beobachtet unentwegt das Nutzerverhalten und zählt die Likes. Verweilen User wesentlich länger bei pro-palästinensischen Posts und erhalten diese mehr Likes, gehe der Algorithmus davon aus, dass alle Nutzer der Plattform großes Interesse an dem Post haben sollten. Social-Media-Posts, die das pro-palästinensische Narrativ verbreiten, erscheinen folglich wesentlich öfter in der Nutzer-Chronik, so der Professor. Das gilt sowohl welt-, als auch deutschlandweit.

Die Konsequenz: Unabhängig vom Wahrheitsgehalt, der Stichhaltigkeit der Argumente und journalistischer Qualitätskriterien, liegt die Deutungshoheit beim pro-palästinensischen Narrativ. Gleichzeitig nutzen immer mehr Jugendliche soziale Medien zur politischen Willensbildung. Die Konsequenzen sind unter Umständen fatal.

Experten fordern bessere Medien-Schulung im Unterricht

Theresa Lehmann beobachtet für die Amadeu-Antonio-Stiftung Antisemitismus in sozialen Medien. Einige der pro-palästinensischen Videos und Inhalte, die seit dem 7. Oktober verbreitet werden, schüren Hass gegen Juden, sagt Lehmann im Gespräch mit BR24. Das sei eigentlich verboten, doch manche Influencer würden Chiffre, also geheime Symbole, einsetzen, um antisemitische Botschaften zu verbreiten oder bezeichnen ihre Inhalte als Satire.

Soziale Medien seien derzeit ein Vehikel für eine antisemitische Welle, ergänzt sie. Junge Menschen würden ihre ersten Schritte der Politisierung durchmachen, diese Inhalte sehen, nicht gerade viel Background-Wissen über den Nahost-Konflikt haben – und dann Videos sehen, in denen einseitig argumentiert werde. Lehmann und Gust fordern, Schulen müssten Jugendlichen vermitteln, wie soziale Medien funktionieren. Denn: Eine ausgewogene Berichterstattung gibt es dort nur selten.

Karte: Die militärische Lage im Gazastreifen

Hinweis: Diese Informationen sind nicht vollständig unabhängig überprüfbar. Sie werden vom ISW, einem gemeinnützigen, überparteilichen Politikforschungsinstitut mit Sitz in den USA, einmal pro Tag zur Verfügung gestellt. Dadurch kann es zu Verzögerungen im Vergleich zum aktuellen Geschehen kommen.

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