Szene aus Rieke Süßkows Inszenierung von Werner Schwabs Volksstück "ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM" am Staatstheater Nürnberg.
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Szene aus Rieke Süßkows Inszenierung von Werner Schwabs Volksstück "ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM" am Staatstheater Nürnberg.

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Berlin, Berlin: Das Staatstheater Nürnberg beim Theatertreffen

Es ist das allererste Theatertreffen-Gastspiel in der Geschichte des Hauses: Das Staatstheater Nürnberg zeigt beim Berliner Theatertreffen am Pfingstwochenende das Stück "ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM".

Über dieses Thema berichtet: Die Welt am Morgen am .

Ehe Ende Januar die Theatertreffen-Jury, bestehend aus sieben Kritikerinnen und Kritikern, die zehn eingeladenen Inszenierungen bekannt gab, da hatten die Nürnberger schon so eine Ahnung, erzählt Schauspielerin Julia Bartolome: "Wir haben mitbekommen, dass immer wieder Jury vom Theatertreffen drinsaß, und das hörte irgendwie nicht auf. Und dann dachten wir schon, das könnte vielleicht ein Zeichen sein, dass wir diesmal nach Berlin fahren."

Dass es Rieke Süßkows Inszenierung von Werner Schwabs Volksstück "ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM" dann aber tatsächlich in die End-Auswahl geschafft hat, erfuhr das Staatstheater Nürnberg wirklich erst am Tag der öffentlichen Bekanntgabe. "Das war schon aufregend", erzählt Nürnbergs Schauspieldirektor Jan Philipp Gloger. Man habe die Pressekonferenz angesehen, "wie bei einem Elfmeterschießen im Finale. Und wir kamen, glaube ich, als vorletzte dran". In der Stadt spüre man auch einen gewissen Stolz und werde darauf angesprochen. "Das ist einfach gerade für diese mittleren Städte was ganz Besonderes, und das spüren wir natürlich auch."

Ein derber Kunstdialekt voller Unflätigkeit

"ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM" ist ein großartiges, dabei keineswegs gefälliges Theaterstück. Es zählt zu den sogenannten Fäkaliendramen des 1994 verstorbenen Österreichers Werner Schwab. Zu erleben sind darin eine Reihe sogenannter verkrachter Existenzen, die in einer Gaststätte der Kategorie Beisl oder Boazn abhängen. Sie tragen Namen wie Hertha oder Karli, aber auch Schweindi und Fotzi, sprechen in einem derben Kunstdialekt voller Unflätigkeit.

Und doch lässt Schwab bei aller Niedertracht die Sehnsüchte der Figuren aufscheinen, betont Schauspielerin Julia Bartolome. "Natürlich würde es nicht reichen, sich einfach nur darüber lustig zu machen. Das Tragische sind auch die Abgründe. Da verzweifelt man auch schier daran, weil man sich denkt, liebe Figur Karli oder liebe Figur Hertha, könntest Du nicht ein anderes Gleis nehmen oder anders abbiegen?"

Beeindruckende Präzision

Diese Figuren, die in ihren Verhältnissen feststecken, hat Rieke Süßkow als Schießbudenfiguren inszeniert. Das Ensemble steckt in Ganzkörperlatex-Kostümen und -Masken, bewegt sich mechanisch zum Scheppern von Glücksspielautomaten und Comic-Sounds. Zwischendurch wechseln die Schauspielerinnen und Schauspieler auch schon mal die Rollen. Austauschbare Schicksale werden hier verhandelt von Menschen, die in einem Gesellschaftssystem gefangen sind, das ihnen keine Chance lässt.

Beeindruckend: die Präzision und radikale Konsequenz, mit der Rieke Süßkow ihr Konzept umgesetzt hat. Absolut verdient daher die Einladung zum Berliner Theatertreffen. Und lange herbeigesehnt, wie Schauspieldirektor Jan Philipp Gloger und Schauspielerin Julia Bartolome - seit 17 Jahren in Nürnberg engagiert - einhellig bekennen: "Wir hatten wirklich schon sehr, sehr tolle Produktionen hier in Nürnberg, und bei manchen war es, glaube ich, knapp, wo man sich gedacht hat, das würde man sich wünschen, dass es auch noch überregionaler wahrgenommen wird", sagt Bartolome. Gloger ergänzt: "Man macht nicht Theater, um zum Theatertreffen zu kommen. Das wäre ganz jämmerlich." Aber nach einigen Jahren der Arbeit hier in Nürnberg sei das "eine tolle Auszeichnung für das ganze Haus".

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